Die gegenwärtige „Pandemie“ hat zur Folge, dass viele IOPT-Praktiker online gegangen sind, Franz Ruppert und mich eingeschlossen. Das wiederum hat zu einigen interessanten Erkenntnissen über die online-Arbeit mit IOPT und mit der Anliegen-Methode geführt.
Zunächst einmal: es funktioniert; und nicht nur das: tatsächlich funktioniert es sehr gut und bietet einige wesentliche Vorteile:
- Mit einem Mal wird IOPT deutlich präsenter. Bei meinen Online-Events höre ich oft Leute sagen, dass sie gerade erst von IOPT gehört haben. IOPT wird nun weltweit viel mehr wahrgenommen als zuvor.
- Man muss nicht reisen und für teure Unterkünfte zahlen. So spart man Geld und schützt die Umwelt.
- Man kann Workshops und Vorträge bequem und sicher von zuhause aus besuchen, in den Pausen in den Garten gehen, so man einen hat, Mittagessen und Getränke zu sich nehmen, die man mag.
- Menschen, die in Ländern leben, in denen IOPT wenig oder gar nicht präsent ist, können genau wie jeder andere teilnehmen.
- Wir alle können bequem Ländergrenzen überqueren, ohne Visa zu benötigen oder uns mit anderen komplizierten „nationalen“ Vorschriften auseinander setzen zu müssen; wir werden also weniger kontrolliert von unserer eigenen Regierung oder anderen Regierungen.
- Der nächste IOPT-Kongress, der in München mit ungefähr 400 Teilnehmern
- stattfinden sollte, wird nun online abgehalten und bietet jetzt Plätze für 1.000 Teilnehmer.
- Als Profis können wir praktizieren wie wir wollen, und wir können kommunizieren und uns über Länder hinweg treffen, um die Theorie, die Praxis, die Ethik und damit einhergehende professionelle Themen zu diskutieren. Selbstverständlich hätten wir das auch schon früher tun können, aber erst aufgrund der aktuellen Lage sind wir uns bewusst geworden, dass wir es können.
- Praktizierende müssen nicht notwendigerweise Praxisräume haben, die sehr teuer sein können. Stattdessen können sie bequem zuhause arbeiten.
- Wir können lehren und lernen, live-Supervision bekommen von den Personen, von denen wir lernen wollen.
- Wir können uns in Peer-Groups verbinden, um uns zu treffen und IOPT zu diskutieren und um gemeinsam zu arbeiten und Erfahrungen zu sammeln.
- Wir können Menschen aus einer Vielzahl von Ländern, Kulturen und mit unterschiedlichen Werdegängen treffen und voneinander lernen.
Der Hauptnachteil liegt darin, dass es keinen Körperkontakt, keine Berührungen und Umarmungen gibt.
Und wie ist es mit dem “Training”, um IOPT-Praktiker zu werden?
Ich habe jahrelang viel über dieses Thema nachgedacht, und zwei Blogs darüber verfasst, wie normalerweise über Training in der psychotherapeutischen Berufswelt gedacht wird; darunter sind auch Gedanken über Akkreditierung und „Instanzen“ innerhalb des Bereichs – Berufsverbände, Ethik etc.
Ich habe zwei Blogartikel, die ich 2015 zu diesen Themen geschrieben habe, wieder gepostet. Was IOPT angeht sind sie überholt, und vielleicht auch an einigen anderen Punkten. Beide beziehen sich speziell auf das Training in London, das ich seit vielen Jahren gebe. An vielen meiner damaligen Gedanken halte ich weiterhin fest und denke, dass sie relevant sind für uns als IOPT-Praktiker. Die zwei Blogs sind:
Accreditation & Legality in the UK (Akkreditierung und Legalität in UK) und Accreditation & Professionalism (Akkreditierung und Professionalität) (nicht ins Deutsche übersetzt)
Neuerdings bin ich zu folgenden Ansichten zum Thema „Training“ als IOPT-Praktiker gekommen.
Zunächst einmal: ich mag das Wort „Training“ nicht. Ich denke nicht, dass jemand irgendeine Person zum IOPT-Praktiker trainieren kann, wie man einen Hund dazu trainieren kann, sich so herumzurollen, wie man glaubt, es sei richtig. Training wird definiert als „der Prozess, eine Person zu einem vereinbarten Standard an Leistungsfähigkeit zu bringen“ (freedictionary.com). Von wem vereinbart? Hier wird gesagt, dass jemand eine Autoritätsposition einer anderen Person gegenüber einnehmen muss. Dies stellt eine Missachtung von Autonomie und einen Prozess von Objektifizierung, Täterschaft und sogar Traumatisierung dar. Ich glaube nicht, dass ich die Autoritätsposition als Trainer irgendeiner Person gegenüber einnehmen kann (oder sollte). Ich trainiere meinen Hund auf meinen Ruf
hin zu kommen und auf diese Weise kontrolliere ich ihn, zu seiner Sicherheit, ja, aber ich behalte die Kontrolle. Andere Menschen will ich jedoch nicht kontrollieren.
Zuletzt habe ich den Kurs, den ich in London gebe, Ausbildungskurs genannt. Das erscheint mir besser im Einklang mit IOPT zu sein. Ich bezeichne mich gern als Ausbilderin, oder sogar als Lehrerin, weil die Bedeutung des Lehrerbegriffs laut Wikipedia „eine Person ist, die Studenten hilft sich Wissen, Kompetenz und Tugenden anzueignen. Für mich fühlt es sich gut an, mich als jemanden zu sehen, der jemand anderen darin unterstützt, Wissen zu erlangen. Am meisten interessiert es mich, beteiligt zu sein, wenn jemand etwas über sich selbst lernen will, und zwar mehr, als wenn jemand IOPT-Praxis lernen will. Es ist, was wir mit der Anliegen-Methode in unseren persönlichen Erforschungen, den Selbstbegegnungen, erreichen: Das Wissen im weitesten Sinne des Wortes, indem wir die Frage „Wer bin ich?“ beantworten.
Ist es jedoch notwendig, oder sogar ratsam, anzunehmen, dass man einen formalen Kurs besuchen muss, um sich Wissen anzueignen, um sich selbst in welchem Bereich auch immer man will auszubilden? Das ist die traditionelle Weise, auf die wir gelernt haben, alle möglichen Tätigkeiten auszuüben: wir nehmen für einen bestimmten Zeitraum an einem Kurs teil, mit der Idee, dass wir am Ende des Kurses die betreffende Tätigkeit ausüben können. Ich habe sieben Jahre lang „trainiert“, um Psychotherapeutin zu werden, unter einem Curriculum, welches irgendjemand in einer „angepassten fits-all Weise“ zusammengestellt hatte. Dann wurde ich geprüft, kritisiert, bewertet, bestätigt und mit einem Urteilsspruch versehen von Personen, die mich zuvor nicht kannten, die mich niemals getroffen hatten. Zu jenem Zeitpunkt erkannte ich es nicht, weil ich damals nichts über Trauma wusste, aber: diese Erfahrung war zutiefst traumatisierend für mich.
Einen formalen Kurs über einen längeren Zeitraum hin werde ich also nicht mehr geben. Der einzige Vorteil, den ich hierin erkennen kann, ist, dass man für eine Weile zu einer geschlossenen Gruppe gehört. Das kann selbstverständlich eine Möglichkeit sein, wenn jemand eine geschlossene Gruppe entweder als Präsenzkurs oder online anbietet.
IOPT-THEORIE UND -PRAXIS LERNEN
Unsere neuen Erfahrungen mit der online-Arbeit bieten nun für alle viele kreative
Möglichkeiten, die Arbeit mit IOPT zu erlernen. Über Nacht haben sich diese Chancen sozusagen vervierfacht. Jetzt kann man, wo immer man ist, ein Event mit Franz Ruppert besuchen; und ich bin sicher, dass es auch für diejenigen, die zuvor dazu keine Möglichkeit hatten, nun zahlreiche Gelegenheiten geben wird, ihn bei der Arbeit zu beobachten. Ich denke, wir können durch den online-Zugang so ziemlich alles lernen. Dies vorausgesetzt schildere ich nun, wie man meiner Ansicht nach, lernen kann ein IOPT-Praktiker zu werden.
Zunächst ist festzustellen, dass es bezüglich der IOPT-Ausbildung zwei Hauptprinzipien gibt. Das sind:
Erstens: nimm jede Gelegenheit wahr, deine Selbsterforschungs-Arbeit zu machen. Ein IOPT- Praktiker soll psychisch so klar wie möglich sein und über seine eigenen Überlebensstrategien und Tendenzen zum Täter zu werden sehr gut Bescheid wissen. Tatsächlich würde ich sagen, ist dies das Allerwichtigste, was man tun kann, um ein kompetenter, stabiler und zuverlässiger IOPT-Praktiker zu werden: Mach deine eigene Selbsterforschungs-Arbeit.
Zweitens: übernimm die Verantwortung für deine Ausbildung und dein Lernprogramm.
Es gibt zwei Lernstränge: Theorie und Praxis
Um diese zu lernen, gibt es drei Wege:
1. Erfahrung, durch persönliche Selbst-Erforschungen, durch Resonanzgeben, durch Beobachten der Arbeiten von anderen und Beobachten von Praktizierenden;
2. Lesen, was über IOPT-Theorie erhältlich ist, Franz‘ Bücher, meine Bücher und alle anderen Bücher, Artikel, etc. die zu finden sind;
3. Diskussion und Nachfragen: mit den Praktizierenden, die du als erfahrener
betrachtest und mit deinen Peers.
Ich denke, dass der einzige, wahrhaftig die Prinzipien und Werte der IOPT-Theorie zugrunde legende Weg, um IOPT-Praktiker zu werden, der Folgende ist:
- du gestaltest deinen eigenen Lernweg und legst dein Hauptaugenmerk auf deine Selbsterforschung;
- du lernst IOPT-Theorie, indem du auf deiner Bildungsreise sorgfältig alle zur
- Verfügung stehenden Texte zu IOPT und zu anderen dich ansprechenden Themen liest;
- du nimmst jede sich bietende Gelegenheit wahr, mit anderen die Theorie zu
- diskutieren; mit denjenigen, die du als erfahrener siehst und mit deinen Peers;
- vielleicht gründest du eine Peer-Student-Group, die dich während deiner Reise unterstützt;
- du denkst nach über die Fragen, auf die du Antworten brauchst, und darüber, wie du sie bekommst und von wem;
- gleichermaßen nimmst du jede sich bietende Gelegenheit wahr, Repräsentant in der Arbeit einer anderen Person zu sein und andere Praktiker bei deren Arbeit zu beobachten und sie zu ihrem Denken zu befragen;
- du übernimmst die Verantwortung dafür zu entscheiden, wann du bereit bist zu praktizieren, und legst eine Pause ein, falls du irgendwann einmal denken solltest, dass du nicht bereit bist;
- du entscheidest, ob du live-Supervision deiner Arbeit haben willst, die dir und deinem Lernen nützt;
- du entscheidest, ob du dein Leben den Prinzipien und Werten der IOPT-Theorie entsprechend leben willst;
- du übernimmst die Verantwortung dafür, mit deinem persönlichen und professionellen Lernen fortzufahren, und niemals zu denken, dass du schon alles weißt! Es gibt immer noch mehr zu lernen.
- ...
Die Studienzeit endet niemals. Der künstliche Moment der „Akkreditierung“ ist genau das künstlich. Besser ist es, sich selbst für den Rest seines Lebens als Schüler anzusehen.
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Christina (Thursday, 18 June 2020 22:44)
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